{Rezension} „Nackt über Berlin“ von Axel Ranisch

Worum geht’s?

Jannik und Tai, von ihren Mitschülern liebevoll Fetti und Fidschi genannt, sind zwei ganz normale Sechzehnjährige. Bis sie eines Tages ihren Rektor sturzbetrunken auf der Straße auflesen und in seiner eigenen Wohnung einsperren. Aus dem Scherz wird schnell eine handfeste Entführung. Tai genießt es, »Gott« zu spielen und zwingt den Lehrer zu einem Seelenstriptease. Ein Höllentrip für Jannik, der schnell bemerkt, dass Tai seine zarte Verliebtheit nur ausnutzt. Er muss handeln…

Nackt über Berlin CoverDie Fakten zum Buch
Titel: Nackt über Berlin
Autor: Axel Ranisch
Verlag: Ullstein Fünf
Seitenzahl: 384 Seiten
Erscheinungsdatum: 23. Februar 2018
Preis: 20,00€ (Print) / 16,99€ (E-Book)

Herzlichen Dank an die Ullstein Buchverlage und vorablesen.de für das Rezensionsexemplar!


Meine Meinung: Provokant und unterhaltsam

„Nackt über Berlin“ ist eines dieser Bücher, die eigentlich gar nicht in mein normales Beuteschema passen, die mir aber durch Zufall auf den gängigen Social-Media-Plattformen begegnet sind und mich dann nicht mehr losgelassen haben. Leider kann ich mich nicht mehr erinnern, bei wem mir der Debütroman von Axel Ranisch zuerst begegnet ist. Aber ich bin der Person auf jeden Fall sehr dankbar, denn „Nackt über Berlin“ ist provokant, spannend und wirklich unterhaltsam.

Flüssiger Schreibstil, deutliche Sprache

Es ist schon lange her, dass ich ein Buch aufgeschlagen und direkt nach den ersten Seiten so sehr in der Geschichte drin war, wie bei „Nackt in Berlin“. Das macht Axel Ranisch dem Leser seines Romans auch sehr leicht, denn die Sprache ist gerade heraus und nimmt kein Blatt vor den Mund. Im Vergleich zu anderen zeitgenössichen Jugendbüchern finde ich das sehr erfrischend und abwechslungsreich. Natürlich lässt sich drüber streiten, ob „Nackt über Berlin“ überhaupt als Jugendbuch durchgeht. Doch ganz ehrlich: Ich hätte das Buch auch als Teenager geliebt.

Der Schreibstil ist flüssig und lässt sich dadurch gut lesen. Durch die Erzählweise, bei der wir die Hauptfigur sozusagen hautnah begleiten, entstand bei mir ein regelrechter Lesesog, sodass ich das Buch kaum aus der Hand legen konnte. Erzählt wird aus zwei Erzählperspektiven: Einerseits begleiten wir den 17jährigen Jannik und dessen besten Freund Tai, andererseits deren Schuldirektor Jens Lamprecht, der ebenfalls mit seinem eigenen Päckchen zu kämpfen hat.

nackt über berlin seitenansicht
„Nackt über Berlin“ von Axel Ranisch: Provokant und unterhaltsam.

Reale Charaktere, reale Probleme

Doch nicht nur Jens kämpft mit seinen eigenen Problemen. Jannik ist 17, übergewichtig und in seiner jugendlichen Naivität bis über beide Ohren in seinen besten Freund Tai verliebt – und merkt nicht, dass der ihn nur ausnutzt. Grundsätzlich empfand ich Jannik als sehr liebenswerten Charakter, der nicht nur mit dem Erwachsenwerden kämpft, sondern im Verlauf der Geschichte auch immer mehr mit seinem Gewissen. Er lässt sich von Tai in die plötzlich sehr reale Entführung ihres Rektors hineinziehen, weil er ihm gefallen und imponieren will. Während des Lesens schwankte ich daher oft zwischen Mitleid für Jannik, Empathie und dem Wunsch, ihm ordentlich eine runterzuhauen.

Allerdings ist das, was Jannik ausmacht, sehr menschlich. Überhaupt sind die Figuren Charaktere aus dem echten Leben. Sie bringen alle ihre eigenen Probleme mit, in die man sich als Leser gut hineinversetzen kann. Für sich selbst genommen ist keine der Figuren sympathisch, doch sie werden menschlich dargestelllt, und das macht einen Großteil des Reizes von „Nackt über Berlin“ für mich aus.

Es ist seltsam. Manchmal passiert jahrelang gar nichts, und dann, urplötzlich, kommt alles auf einmal.

– „Nackt über Berlin“ – Axel Ranisch, S. 314

Während ich Jannik sehr schnell in mein Herz geschlossen habe, hatte ich mit anderen Charakteren deutlich mehr Probleme. Obwohl Schuldirektor Jens Lamprecht Opfer des emotionalen Traumas seiner Entführung wird und man als Leser seine Gefangenschaft sozusagen hautnah aus seiner Sicht miterlebt, blieb er mir fremd. Vor allem zum Ende hin wurde es mir auch ein wenig zu viel: Sein plötzlicher Wille, die losen Enden seines Lebens  zu verknüpfen und einen Schlussstrich zu ziehen, indem er auf eine Art Selbstfindungstrip geht, fand ich fast unglaubwürdig.

Auch Tai blieb im Gegensatz zu den anderen Figuren eher blass, dabei hätte ich gerade über ihn gern mehr erfahren. Er ist das „Criminal Mastermind“ hinter der Entführung um Jens Lamprecht, doch seine Motive blieben lange unklar. Auch seine Gefühle für Jannik lassen sich erst auf den letzten Seiten erschließen, was ich schade fand. Tai hätte, alles in allem, eine sehr interessante Figur werden können, hier wurde meiner Meinung aber ein wenig Potenzial verschenkt.

Starke Themen, gute Umsetzung

„Nackt über Berlin“ behandelt eine ganze Reihe von Themen und setzt diese meiner Meinung auch größtenteils gut um. So spielt natürlich Janniks Homosexualität eine wichtige Rolle, doch auch Themen wie Rassismus, Suizid, Depressionen, (fehlende) Moralität und mehr werden behandelt.

Ein weiteres Leitmotiv, das mir unglaublich gut gefallen hat, ist die Musik. Jannik ist ein Musiknerd; er spielt selbst Klavier und liebt die klassische Musik. Für jeden Anlass hat er die passende Komposition parat und es macht Spaß, die genannten Stücke an den entsprechenden Stelle anzuhören. Ich habe zwar von klassischer Musik keine Ahnung, aber den Einsatz dieses Motivs fand ich sowohl interessant (da es mal was Neues ist) als auch sehr gelungen.

Prädikat: empfehlenswert!

Mit „Nackt über Berlin“ hat Axel Ranisch ein gelungenes Debüt vorgelegt. Es ist ein Buch über das Erwachsenwerden, die erste Liebe, Moral und noch viel mehr und konnte mich auf den knapp 380 Seiten mitreißen und begeistern. Zwar blieb ich als Leser am Ende mit einigen Fragen zurück, doch das Buch ist in sich schlüssig und rund. Daher gibt es heute von mir das Prädikat: empfehlenswert und 4,5 von 5 möglichen Sternen.

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